Apropos:
Klingeling - ein giftiges Suffix

Dieser Tage sah ich den Ärklärbären einmal wieder. Er berichtete mir stolz, dass er über drei (legale) Keimlinge von Cannabis indica verfüge. Er wolle sie dafür verwenden, sein Verlangen nach Met zu bekämpfen. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass das nicht empfehlenswert sei und dass andere Sachen da womöglich geeigneter seien (aus rechtlichen Gründen schreibe ich hier nicht hin, welche).
Aber darum geht es mir eigentlich nicht. Vielmehr fielen mir einige Assoziationen zum Wort „Keimling“ zu.
Es gibt ja im Deutschen einige giftige Worte, die mit „-ling“ enden und deshalb ersetzt wurden. Am bekanntesten ist wahrscheinlich das Wort „Lehrling“, welches wegen seiner Giftigkeit durch „Auszubildender“ bzw. „Auszubildende“ ersetzt wurde (und dieses Ungetüm wiederum in der Umgangssprache durch „Azubi“ bzw. „Azubine“).
Ähnliches ist mit dem Wort „Flüchtling“ geschehen. Hier ist das Präsens durch die Vergangenheitsform ersetzt worden, so dass wir von dem Geflüchteten und der Geflüchteten reden. Das Präsens verbietet sich nach interner Übereinkunft der Obrigkeit, denn seine Anwendung würde bedeuten, dass es auch in Deutschland Gründe geben könnte, die Flucht zu ergreifen. Und das kann ja auf gar keinen Fall sein.
Aber ich schweife schon wieder ab. Worum es mir eigentlich geht, ist die Frage, wodurch die Gefährlichkeit von Worten mit „-ling“ bedingt sein könnte. Zur Erklärung dessen erscheinen mir Hypothesen wahrscheinlich, die mit dem Verhältnis von Gender und Sex bzw. mit Wokeness zu tun haben.

1) Der Gebrauch des Suffixes „-ling“ kann diminutive oder pejorative Bedeutung transportieren. Am Beispiel des Lehrlings wird das deutlich. Der Lehrling ist der Junge und Kleine, der noch nichts kann, sondern erst noch lernen muss. Für pejorativ halte ich diese Bezeichnung jedoch nicht, denn sie bezeichnet einfach jemanden, dem etwas gelehrt wird und der etwas lernt. Pejorativ wird es erst, wenn der Lehrling immer nur die Drecksarbeiten verrichten muss. Aber das kann dem Auszubildenden genauso passieren, klebt also nicht am Wort. Mehr noch: Mir scheint, dass mit der Bezeichnung „Auszubildender“ die betreffende Person in eine rein passive Rolle gedrängt wird: der-oder diejenige, die auszubilden ist. Von aktivem Lernen ist da gar keine Rede, während Lehren und Lernen doch ein untrennbares Paar bilden (sollten). Und im (geduldeten) Wort „Azubi“ schlagen Pejoration und Diminution gemeinsam zu. Wer hört nicht im Hintergrund das Wort „Bubi“ mit?
Natürlich gibt es Worte mit „-ling“, die abwertend gemeint sind, etwa „Emporkömmling“, aber wäre das bei „empor Gekommener“ besser?
Und bei „Flüchtling“ kann ich nun wahrlich weder Abwertung noch Verkleinerung /Verniedlichung entdecken.
Was nun die Keimlinge der Cannabis-Pflanze anbelangt, so scheint es sich tatsächlich um einen Diminutiv zu handeln. Nun ja, Pflanzen, die gerade so eben sich aus dem Samen hervorstrecken, pflegen im Gegensatz zur fertigen Pflanze tatsächlich kleiner zu sein. Den pejorativen Gebrauch des in Frage stehenden Suffixes nachzuweisen, dürfte hingegen schwierig sein, da die meisten Menschen, die Marihuana-Sämlinge zum Keimen bringen, die entstehenden Pflanzen im höchsten Maße wertschätzen.

2) Wörter mit „-ling“ haben im Deutschen grundsätzlich einen männlichen Genus. Man könnte also gendertheoretisch annehmen, dass durch den Gebrauch dieser Worte das weibliche Geschlecht sozial entwertet werden soll. Auch diese Hypothese passt so gar nicht auf unser Beispiel von Cannabis, da es zumeist eher die weiblichen Pflanzen sind, die vom Hobbygärtner (m/w/d) wertgeschätzt werden. Das sind zwar erste Spuren, aber sie führen uns noch nicht recht weiter.

Wir sollten uns vielleicht etwas mit der Herkunft des „-ling“ Suffixes befassen. Man kann nachlesen, dass es eine indoeuropäische Wurzel von „-ling“ gibt. Diese ist „linga“ und bezieht sich auf die Symbolik von Shiva. Damit erklärt sich zwanglos die prinzipielle Männlichkeit der Worte, die mit dem Suffix „-ling“ gebildet werden. Shiva ist das männliche Prinzip und gleichzeitig das Symbol für den kosmischen Tanz von Schöpfung und Zerstörung. In einer etwas profaneren und volkstümlicheren Deutung ist Linga der Phallus. Ich erinnere an Chuck Berrys Text vom Spielen mit seinem „Ding-a-ling“
Von dieser Bedeutung ausgehend kann man überlegen, welche unbewusste bzw. kollektiv-unbewusste Bedeutung das Streichen des Suffixes „-ling“ haben könnte. Ich halte es ziemlich eindeutig für die Äußerung einer Kastrationsphantasie. Diese kann angstbesetzt sein (wenn sie einen selbst betreffen könnte) oder aber von Befriedigung gekennzeichnet, wenn das anderen geschieht. Sehen wir uns nur die wenigen hier als Beispiel verwendeten Worte mit *-ling“ an:
Ein Lehrling hat bitteschön überhaupt keinen Penis zu haben. Seine einzige Pflicht und gleichzeitig sein einziges Recht ist zu gehorchen. Ein männlicher Lehrling muss zu diesem Behufe kastriert werden, weibliche Lehrlinge (die es dem Wort nach ja eigentlich gar nicht gibt) haben da weniger Probleme bzw. eher solche von „Me-too“- Natur. Noch deutlicher wird das, wie bereits erwähnt, bei der Abkürzung Azubi bzw. Azubiene: Hier steht der Begriff „Bubi“ oder die fleißige Biene bzw die „flotte Biene“ im Hintergrund.
Bei den Flüchtlingen ist es noch gefährlicher. Sie gehören unbedingt kastriert, damit sie uns unsere doitschen Mädels nicht wegnehmen, wie sie es ja schon mit den Arbeitsplätzen getan haben. (NUR SICHERHEITSHALBER: DIES IST SATIRE!)
Es gibt aber auch „-ling“-Worte mit ambivalenter Bedeutung. Am deutlichste ist das beim Emporkömmling. Wenn das Suffix „-ling“ die Bedeutung von „Phallus“ hat, haben wir es hier mit einem ziemlich eindeutigen Wunsch zu tun. In der Haltung dem gegenüber, der als Emporkömmling bezeichnet wird, mischen sich dementsprechend Bewunderung, Neid und Verachtung. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum im Wort „Emporkömmling“ das „Ling“ seinen Platz behalten darf.
Es gibt noch eine zweite, deutlich spekulativere Deutung: „Ling“ ist im Mandarin ein recht häufiges Wort und auch ein gern vergebener Name. Es bedeutet so etwa: clever, wirksam, geschickt, Geist, Seele, wirkmächtig. (Ich muss allerdings an dieser Stelle bemerken, dass meine Mandarin-Kenntnisse gegenüber meinen Sanskrit-Kenntnissen stark abfallen.)
Ein wirkmächtiger, cleverer, geschickter, geistvoller Lehrling? Ich bitte Sie!... Ein wirkmächtiger, cleverer, geschickter, geistvoller Untertan? Der könnte der Obrigkeit ebenso ein Dorn im Auge sein. Was würde der Obrigkeit wohl geschehen, wenn die Untertanen sich plötzlich an Faust orientieren würden, und dessen Wunschvorstellung übernähmen:

Schau‘ alle Wirkenskraft und Samen
Und tu‘ nicht mehr in Worten kramen.


Womöglich wären sie bald weg vom Fenster mit Blick zum See. Das Ling muss also weg. Was bleibt uns? Die Aufzucht der eingangs erwähnten Keimlinge. Und das ist gar nicht gut für uns.
Q.e.d.