FOLGENDEN VORSCHLAG FÜR das "UNWORT DES JAHRES" HABEN WIR EINGEREICHT:
(„vorschlaege(at)unwortdesjahres.net“)

Sehr geehrte Damen und Herren,


hiermit reichen wir zwei Vorschläge für das „Unwort des Jahres“ ein:

Erster Vorschlag: „N-Wort“



Begründung:

1) Wir sind bin keine Linguisten und können daher (wie die meisten natürlichen Personen) nur nach unserem Sprachgefühl sprechen und handeln. Ja, wir wissen nicht einmal sicher, was ein Wort eigentlich ist. Provisorisch haben wir uns gedacht, dass jedes Wort etwas bezeichnet (unabhängig davon, ob dieses Etwas existiert). Bei dem Bezeichneten kann es sich z.B. um ein Ding, ein Lebewesen eine Tätigkeit, ein abstraktes Prinzip oder einen seelischen Zustand handeln. Das Wort „N-Wort“ bezeichnet aber nichts Derartiges, sondern ein anderes Wort, ein Wort, dessen Gebrauch quasi verboten ist. Letzteres sieht man daran, dass zumindest jemand, der das ursprüngliche Wort in der Öffentlichkeit gebraucht, angefeindet wird, wenn er oder sie nicht gar berufliche Konsequenzen zu gewärtigen hat. Bei dem Wort „N-Wort“ handelt es sich um so etwas wie ein Stellvertreter-Wort, also nicht um ein selbständiges Wort. Insofern wäre die Frage zu stellen, ob es sich überhaupt um ein Wort handelt oder nicht vielmehr um ein Nicht-Wort oder eben ein Unwort.

2) Das Schicksal des Stellvertreter-Wortes „N-Wort“ kann in verschiedene Richtung gehen:

2a) Trotz Einführung des Stellvertreter-Wortes wird bei jedem Gebrauch dieses Wortes eine Resonanz zum ursprünglichen, quasi-verbotenen Wort evoziert. Das bedeutet, dass sich durch die Einführung des Wortes „N-Wort“ intrapsychisch in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht nichts geändert hat, außer dass das ursprüngliche Wort nicht mehr ausgesprochen und geschrieben wird.

2b) Es könnte sein, dass im Laufe der Zeit die Bedeutung des ursprünglichen Wortes vergessen wird. Das hieße aber, dass dann das Wort „N-Wort“ gar nichts mehr bezeichnet. Das wiederum würde dazu führen, dass das mit „N-Wort“ Bezeichnete dann ohne Bezeichnung – sozusagen nackt – dastünde. Dann wäre das Wort „N-Wort“ aber nicht mehr zur Kommunikation geeignet und damit bedeutungslos und überflüssig.

2c) Wenn Fall 2a eintritt, hieße das, dass das ursprüngliche Ziel des Ersatzes des einen Wortes durch das andere, nämlich die Vermeidung von unvernünftiger Diskriminierung, nicht erreicht wurde. Dann könnten manche Sprachwächter auf die Idee kommen, für das Wort „N-Wort“ wiederum einen Stellvertreter zu ersinnen. Dabei würde es sich nicht um ein Synonym handeln, sondern um einen Ersatz, der das Wort der jeweils vorangehenden Stufe ausmerzt. Solche Ketten sind potenziell unendlich. Es könnte dann etwa dazu kommen, dass das Ende erst bei solchen Ungetümen wie „Qzrzk“ erreicht ist (wobei „Ende“ hier den Übergang der Variante 2a in die Variante 2b meint).

3) Vielleicht wäre es besser, sowohl „N-Wort“ als auch das ursprüngliche Wort gar nicht mehr zu gebrauchen, sondern ein Wort zu verwenden, das nachvollziehbar und verwendbar ist und keine Diskriminierung aus unvernünftigen Gründen impliziert.

Zweiter Vorschlag: „Diskursbrandmauer“



Eine Brandmauer ist eine bauliche Maßnahme, die dafür sorgen soll, dass ein Feuer nicht von einem auf ein weiteres Gebäude übergeht. Bei dem Wort „Diskursbrandmauer“ oder dem häufigeren Gebrauch „Brandmauer gegen rechts“ handelt es sich um einen metaphorischen Gebrauch dieses Wortes. Die sich hieraus ergebende Frage ist, ob die Metapher stimmig ist, wie weit sie trägt und ob sie missverstanden werden kann. Da es im politischen Sprachgebrauch kaum um wirkliches Feuer geht (es sei denn, Politik geht in Krieg über, was ein eigenes Problem darstellt), kann man versuchsweise „Feuer“ durch ein Wort ersetzen, das besser passt. Uns fällt da der Begriff der Infektion ein, und noch spezieller: einer geistigen Infektion, also letztendlich so etwas wie ein Miasma. Das hieße dann, dass die Brandmauer dem Verhindern einer geistigen Infektion durch „rechts“ dienen könnte. Das linke Haus wäre sozusagen gefährdet durch das rechte und es muss sich davor schützen. Dieser Schutz erstreckt sich, wie das Wort „Diskursbrandmauer“ deutlich macht, auch auf die Sprache. Es gibt, wie ich meine, drei mögliche Interpretationen der genannten Metapher:

1) Sprache kann dazu verwendet werden, um sich gegen die geistige Infektion von Rechts zu schützen, ist also gewissermaßen ein Teil der Brandmauer.

2) Im Gegenteil ist der Diskurs zwischen Rechts und Links so gefährlich, dass die Mauer eingesetzt werden muss, um diesen Diskurs zu verhindern. Das hieße, gar nicht mehr miteinander zu reden.

3) Da diese Lösung zugegebenermaßen extrem ist, kann auch eine dritte Möglichkeit gemeint sein: Wohl sind „wir“ (das linke Haus bzw. in schwächerer Formulierung das linke Haus und das der Mitte) bereit, mit „euch“ (das rechte Haus) zu reden, aber die Regeln dieses Diskurses legen „wir“ fest. Wenn „ihr“ euch diesen Regeln nicht fügt, sprechen wir gar nicht mit euch. Das jedoch ist eine Position der Angst. Sie hat als Ausgangspunkt, dass „unsere“ Position argumentativ gefährdet und schwach ist. Außerdem führt sie letztendlich wieder auf die Interpretationen 1) und/oder 2) zurück, da die Aushandlung der Diskursregeln als Teil des Diskurses selbst begriffen werden kann (vgl. Queer-Theorie). Dadurch, dass WIR (WIR = wir + ihr) nicht nur über einen Gegenstand sprechen, sondern auch davon, wie WIR untereinander diesen Gegenstand aushandeln (womit wir letztendlich über uns selbst sprechen), wird der Diskurs erst zu einem lebenden Wesen.
In der Formulierung einer „Diskursbrandmauer“ scheint uns dieses lebende Wesen unerwünscht und ausgeschlossen, weshalb wir das Wort als Unwort betrachten. Überdies birgt dieses Wort Möglichkeiten zum Missverständnis, was ihn auch zu einem Unwort macht.

4) Aus psychologischer Sicht meinen wir, dass der Gebrauch beider hier als „Unworte“ vorgeschlagenen „Worte“ zu einer fortschreitenden Dissoziation führen kann, die durch eine „double-bind“-Situation noch verschärft wird. Das kann nach Bateson wiederum zu einer individuellen oder gar gesamtgesellschaftlichen Psychose führen.

5) Uns ist klar, dass die Jury gerade diese Begriffe nicht als Unworte wählen wird (Begründung unter 4). Dennoch wären wir an einem weiteren Austausch interessiert.

Mit freundlichen Grüßen,

Dieter Albin Elendt
Wohnhaft: auf der Insel

Der Erklärbär
Wohnhaft: im Wald (z.Zt. Kamtschatka)

18.11.2023